Die Ordnungswidrigkeit

 

Ob ein Rotlichtverstoß, eine Geschwindigkeitsüberschreitung oder das "Handy am Steuer" dem Betroffenen zur Last gelegt werden: Ab einer verhängten Geldbuße von 60 € werden Punkte in das Fahreignungsregister in Flensburg eingetragen. Die wohl für die meisten Kraftfahrzeugführer schmerzhafteste Sanktion, die in einem Bußgeldbescheid einhergehen kann, ist das Fahrverbot. Dieses wird bei groben Ordnungswidrigkeiten (z.B. bei Missachtung des Überholverbots, Alkoholfahrt zwischen 0,5 und 1,09 Promille) neben der Eintragung von zwei Punkten verhängt. Darüber hinaus darf nicht vergessen werden, dass parallel  zu den Ahnungen im Bußgeldbescheid die Fahrerlaubnis bei acht eingetragenen Punkten von der Fahrerlaubnisbehörde entzogen wird.

 

 

 


Der Anwalt im Owi-Verfahren

 

Der anwaltlichen Beratung im Owi-Verfahren kommt dann eine große Bedeutung zu, wenn ein Regelfahrverbot im Raum steht, und/oder der Betroffene schon einige „Punkte auf dem Kerbholz“ in Flensburg hat und deswegen die Entziehung der Fahrerlaubnis droht. Das VerkehrsOwi-Verfahren ist reine Massenware: Die Geschwindigkeits- und Abstandsmessanlagen sind weitgehend automatisiert und eine menschliche Kontrolle findet kaum statt. Computersysteme werten den Messvorgang aus, sie versenden den Anhörungsbogen, kontrollieren Fristen und fertigen auch den Bußgeldbescheid, denn die Rechtsfolgen sind weitgehend vorgegeben. Geldbuße, Fahrverbot und Punkte werden automatisch nach der Bußgeldkatalogverordnung errechnet und sind keiner individuellen Entscheidung zugänglich. Erst vor dem Amtsgericht ergeht eine Sachprüfung ohne „künstliche Intelligenz“.

 

Dem Verteidiger kommt in einem solchen automatisierten Verfahren die Aufgabe zu, diesen kettengetriebenen Ablauf aufzuhalten und die Besonderheiten des verteidigten Falles aufzuzeigen.

Dem Rechtsanwalt steht das Recht zu, Einsicht in die Ermittlungsakte zu nehmen. Demjenigen, der keinen Verteidiger hat, können Abschriften oder Ablichtungen ausgehändigt werden (§ 147 Abs. 7 StPO), fern kann der Betroffene im Verfahren vor der Bußgeldbehörde unter Aufsicht Akteneinsicht nehmen (§ 49 Abs. 1 OWiG). Bereits aus dieser können sich Anhaltspunkte (Fehlerhafter Messvorgang, ausgebliebene Eichung, Verjährung, mangelhafte Täteridentifizierung, usw., siehe unten) ergeben, die den Tatvorwurf entkräften. Gleichbedeutend - vor allem im Kampf „um jeden Punkt“ -  ist eine aktuelle Auskunft aus dem Fahreignungsregister in Flensburg, aus welcher sich u.a. Fehler bei der Übertragung (§ 65 Abs. 3 StVG) von Altpunkten ergeben können. Wer also auf Grundlage der eingeholten Informationen zusammen mit einem Anwalt aktiv vorträgt, dass es Gründe gibt, von dem automatisierten Ablauf im Owi-Verfahren abzuweichen, kann im Kampf gegen das „Massengeschäft Ordnungswidrigkeiten“ bestehen.

 

 

 

Das Owi-Verfahren - Verteidigungsmöglichkeiten

 

Die besondere Herausforderung bei der Verteidigung im mechanisierten und automatisierten Ablauf des Ordnungswidrigkeitenverfahrens liegt darin, den richtigen Einwand zur richtigen Zeit zu führen. 

 

Zunächst ist es von grundlegender Bedeutung, vom Schweigerecht Gebrauch zu machen! Äußern Sie sich auf keinen Fall zum Tatvorwurf gegenüber der Polizei und machen Sie auch keine Angaben im Anhörungsbogen. Ihre Angaben können zu Ihrem Nachteil ausgelegt werden und sind im späteren Verfahren kaum noch korrigierbar. Schlimmstenfalls machen Sie sich zum Beweismittel gegen sich selbst, wenn Ihnen beispielsweise die Eigenschaft als Fahrzeugführer nicht nachgewiesen werden kann, Sie aber diese im Anhörungsbogen eingeräumt haben. Ein Schweigen wiederum kann nicht zu Ihrem Nachteil ausgelegt werden! Es ist Angelegenheit der Ermittlungsbehörden Ihre Schuld zu beweisen, keinesfalls müssen Sie den Unschuldsbeweis antreten!

 

Das Schweigen des Betroffenen spielt auch bei der Identifizierung des Täters eine Rolle. Schweigt dieser in Gänze oder bestreitet er, der Fahrer gewesen zu sein, dann muss der Tatvorwurf scheitern, wenn die Bußgeldbehörde oder das Gericht den Täter nicht eindeutig identifizieren kann. Bei mangelhaften Fotos und nicht vorhandenen Zeugen wird eine Täterfeststellung kaum gelingen. Im Übrigen wird nur derjenige sanktioniert, der auch die Ordnungswidrigkeit begangen hat, eine Zurechnung gegenüber Fahrzeughaltern oder Fahrzeugeigentümern findet nicht statt!

Der Betroffene darf allerdings nicht wider besseren Wissens eine andere Person der Begehung der Ordnungswidrigkeit bezichtigen, denn dann macht er sich womöglich wegen falscher Verdächtigung (§ 164 Abs. 1 StGB) strafbar. Im übrigen ist es auch Aufgabe des Verteidigers, eine mögliche Fahrtenbuchauflage bei gescheiterter Täteridentifizierung  zu verhindern.

 

Gleichzeitig müssen die Tatsachenfeststellungen, die der Ordnungswidrigkeit zu Grunde liegen, korrekt sein. Geschwindigkeits- und Rotlichtverstöße, aber auch Alkoholkontrollen werden mit technischen Mitteln festgestellt. Grundvoraussetzung ist natürlich, dass diese Geräte im Messzeitpunkt auch richtig funktionieren und vom Beamten auch richtig bedient werden. Anhand der beigezogenen „Lebensakte“ eines Messgerätes kann überprüft werden, ob Wartungen, Reparaturen und Eichungen auch turnusgemäß stattfanden. Zudem kann die Bedienungsanleitung des Gerätes und der Schulungsnachweis des Messbeamten sowie seine Befragung darüber Aufschluss geben, ob das Gerät auch ordnungsgemäß bedient wurde. Bei der Atemalkoholkontrolle gibt es beispielsweise strenge Verfahrensbestimmungen (Doppelmessung, Kontrollzeiten), die zu beachten sind. Können irgendwo Fehler aufgedeckt werden, dann sind die Messergebnisse entweder nicht verwertbar, oder es werden zumindest größere Toleranzwerte in Abzug gebracht. An dieser Stelle sollte aber auch nicht verschwiegen werden, dass es im Rahmen der anwaltlichen Akteneinsichtnahme mit der Behörde zum „Kampf“ um die Herausgabe von Unterlagen wie „Lebensakten“ oder Bedienungsanleitungen kommen kann.

 

Aber, auch wenn im Ergebnis keine Einwendungen gegen die Tatsachenfeststellungen bestehen und dem Betroffenen eine „qualifizierte“ Ordnungswidrigkeit mit der Konsequenz eines Fahrverbots zur Last gelegt wird (§ 25 Abs.1 StVG und § 4 Abs. 1 BKatV), muss ein Fahrverbot nicht zwingend angeordnet werden. Ziel des Fahrverbots ist eine erzieherische Wirkung. Der Betroffene soll einen „Denkzettel“ erhalten und zur „Besinnung“ kommen. Sind jedoch mildere Mittel vorhanden, wie etwa ein erhöhtes Bußgeld, welches genauso gut auf den Täter einwirken kann, dann ist ein Fahrverbot nicht erforderlich. Zudem ist ein Fahrverbot dann nicht angemessen, wenn die daraus resultierenden Folgen den Betroffenen unzumutbar belasten würden. Über die Jahre wurde von der Rechtsprechung eine beachtliche  Kasuistik geschaffen, wann von einem Fahrverbot abgesehen werden kann.

Deswegen sollte im Owi-Verfahren aufgezeigt werden, dass ein Fahrverbot nicht erforderlich oder angemessen ist, und

deswegen von der Regel des Fahrverbots abgewichen werden müsse.

Ob dies letztendlich zum gewünschten Erfolg führt, ist von Fall zu Fall unterschiedlich.

Im Ergebnis ist der Betroffene zunächst gut beraten, mit anwaltlicher Hilfe Einsicht in die Ermittlungsakte zu nehmen und zu prüfen, mit welcher Aussicht auf Erfolg er gegen den Vorwurf der Ordnungswidrigkeit vorgehen kann.